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Quelle: e-health-com.de – EU-Kommission legt ihre angekündigten Empfehlungen für elektronische Patientenakten vor. Die gematik hält die deutsche EPA für kompatibel, verweist aber auch darauf, dass über die Inhalte andere entscheiden.

Zeitplan eingehalten: Weniger als ein Jahr nachdem die EU-Kommission angekündigt hatte, die Bemühungen um eine eHealth Digital Service Infrastructure (eHDSI) durch Empfehlungen für ein europaweit einheitliches Austauschformat für elektronische Patientenakten zu flankieren, liegt die erste Version jetzt vor. Die Empfehlungen bauen unter anderem auf Vorarbeiten des eHealth Networks – ein europäisches Gremium von Vertretern der Gesundheitsministerien – und der das Netzwerk unterstützenden Joint Action supporting the eHealth Network (JAseHN) auf. Auch andere eHDSI-Gremien wie die eHealth MemberStates Expert Group (eHMSEG) wurden konsultiert.

Deutschland war und ist in diese europäischen Arbeiten einerseits über Standardisierungsgremien wie HL7, DIN/NaMed, CEN/TC251 und ISO/TC215 eingebunden. Andererseits arbeitet die gematik auch aktiv in der JAseHN und in der eHMSEG mit und berät das Bundesgesundheitsministerium im Hinblick auf die Sitzungen und Themen, die im eHealth Network vorangetrieben werden.

Plädoyer für die Nutzung nationaler eIDs

Die Empfehlungen der EU-Kommission formulieren zum einen mehrere allgemeine Grundsätze, die elektronische Patientenakten in Europa erfüllen sollten. So sollten die Akten bürgerzentriert und maschinenlesbar sein, und es sollten Techniken wie Protokollierung und Audit Trails genutzt werden, damit „jede Verarbeitung von Gesundheitsdaten […] zu Überprüfungszwecken registriert und verifiziert werden“ kann.

Was die Identifizierung und Authentifizierung angeht, wird in den allgemeinen Empfehlungen für einen Einsatz nationaler elektronischer Identifizierungen („eID“) plädiert. Kraft EU-Verordnung 910/2014 sind die EU-Mitgliedsstaaten künftig verpflichtet, die eIDs andere Mitgliedsstaaten ab einem bestimmten Sicherheitsniveau gegenseitig anzuerkennen, damit die Bürger der Mitgliedsstaaten EU-weit einen sicheren Zugang zu Online-Diensten erhalten können. Daher würde sich die Nutzung dieser digitalen Identitäten für einen grenzüberschreitenden Austausch medizinischer Daten zumindest anbieten.

Klares Plädoyer für internationale Standards

Im speziellen Teil der Empfehlungen für ein europäisches Austauschformat für elektronische Patientenakten gibt die Kommission für die fünf Bereiche Patientenkurzakte, elektronische Verordnung, Laborbericht, Bildgebung und ärztlicher Befund sowie Krankenhausentlassbericht jeweils technische und semantische Standards an, die genutzt werden sollten – immer mit Blick darauf, dass Gesundheitsdaten über Landesgrenzen hinweg kommunizierbar sein sollten, um eine optimale medizinische Versorgung von EU-Bürgern auch außerhalb ihres jeweiligen Heimatlandes zu ermöglichen.

So sollte die Struktur der Patientenkurzakte sowie der elektronischen Verordnung in Anlehnung an die von eHealth Network 2016 angenommene „Leitlinie für den grenzüberschreitenden elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten“ erfolgen, und die Inhalte sollten technisch auf jeweils auf Basis von HL7/ CDA Release 2 dargestellt werden. Kurz gesagt bedeutet das, dass die schon existierenden, europäisch konsentierten Datensätze „Patient Summary“ (Patientenkurzakte) und „ePrescription“ (E-Rezept) genutzt werden sollten. Für Laborbefunde, Bildgebungsbefunde und Krankenhausentlassberichte gibt es solche EU-Datensätze noch nicht. Hier wird empfohlen, analog zu Patient Summary und ePrescription eine konsentierte Struktur zu entwickeln. Technisch stehen für die EU-Kommission auch bei diesen neuen Datensätzen HL7/CDA2 sowie bei der Bildgebung DICOM im Vordergrund.

Kontinuierliche Aktualisierung geplant

Empfohlen wird außerdem, bestimmte, im Anhang des EU-Beschlusses 2015/1302 aufgeführte IHE-Profile zu verwenden, um einen grenzüberschreitenden Datenaustausch nicht unnötig zu erschweren. Ein noch zu schaffendes oder zu ermächtigendes Gremium soll schließlich dafür zuständig sein, die Empfehlungen aktuell zu halten und sie den jeweils neuesten technologischen und methodischen Innovationen anzupassen. Dazu zählt auch die Berücksichtigung neuere Standards wie HL7 FHIR.

Passt das alles nun zu dem, was Deutschland macht? Teils, teils. Deutliche Divergenzen gibt es nach Auskunft von Standardisierungsexperten zwischen den EU-Empfehlungen und dem, was die Apotheker derzeit für das elektronische Rezept planen. Beim E-Rezept beginnt allerdings die „offizielle“ deutsche Entwicklungsarbeit mit Einbeziehung der gematik jetzt erst, da das eRezept erst mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in das SGB V kommen wird. Beim GSAV ist bisher erst der Kabinettsentwurf verabschiedet.

gematik: „Sind gut aufgestellt“

Anders sieht es bei den elektronischen Patientenakten nach §291a SGB V (EPA) aus. Hier betont die gematik, dass die EPA von ihrer technischen Struktur her „inhaltlich agnostisch“ sei, sprich dass beliebige Inhalte in beliebigen Formaten aufgenommen werden können. Damit könne prinzipiell auch eine Patientenkurzakte in der EPA gespeichert werden, sofern dies gewünscht werde. Der Nachsatz ist wichtig, denn die gematik sieht sich bei den Inhalten der EPA nicht im Cockpit, sondern eher als moderierende Instanz. Entscheiden über die Inhalte und deren Strukturen müssen andere. Wer das wird, ist derzeit bekanntlich Gegenstand großer politischer Diskussionen.

Der zweite Aspekt der europäischen Empfehlungen ist ein technischer. Er bezieht sich auf die zwischenstaatliche Kommunikation der medizinischen Datensätze. Die Infrastruktur dafür liefert die von der EU-Kommission vorangetrieben eHDSI. Über diese eHDSI wurde kürzlich erstmals ein E-Rezept zwischen Finnland und Estland übertragen, und Luxemburg und Tschechien wollen in Kürze Patientenkurzakten über Grenzen hinweg kommunizieren.

Die EU-Kommission verweist bei der zwischenstaatlichen Kommunikation im Wesentlichen auf einige IHE-Profile, die in jedem Land auf die jeweiligen Besonderheiten angepasst werden müssen. Da die deutsche EPA auf IHE-Profilen basiert, sieht sich die gematik für den eHDSI-Datenaustausch prinzipiell gut aufgestellt. Die landesspezifischen Besonderheiten – sprich die SGB V-Vorgaben – seien umgesetzt, allerdings müsse die Übersetzung in die jeweiligen Infrastrukturen der anderen europäischen Länder noch erfolgen. Hier befinde man sich gerade in Prüfung, heißt es in Berlin.

COCIR: „Rasch umsetzen.“, KBV: „Nicht verbindlich.“

In den sozialen Medien wurden die Empfehlungen der EU-Kommission eifrig geteilt. Offizielle Reaktionen sind bisher aber dünn gesät. Klar positiv äußert sich der europäische Verband für Bildgebung und Healthcare-IT, COCIR. Der Verband lobt insbesondere, dass die EU Kommission ihre Standardisierungsempfehlungen auf Laborbefunde, Bildgebung und Entlassberichte ausdehnen will. COCIR-Generalsekretärin Nicole Denjoy betont aber auch, dass Empfehlungen nicht reichten und die Mitgliedsstaaten für eine raschere Umsetzung internationaler Standards sorgen müssten.

Ob genau das in Deutschland gelingt, ist die große Frage. Die KBV zumindest – die nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn künftig federführend verantwortlich für medizinische Datenobjekte sein soll – betonte auf Nachfrage von E-HEALTH-COM, dass es sich um eine „rechtlich nicht verbindliche Empfehlung“ handele.